Chris Liebing ist ein Techno-Urgestein: Bereits 1996 gründete er sein erstes Label Audio, spielte bis 1998 regelmäßig im legendären Omen-Club in Frankfurt und veranstaltete von 2000 bis 2003 im U60311 seine "Es ist Freitag Aaaaabend-Partyreihe". Zu Beginn der 0er Jahre wurde Chris mit zahlreichen Awards ausgezeichnet, unter anderem mit dem Dance Music Award für "Bester Produzent" und 2003 für "Bester DJ National". 2009 erfolgte eine große Umstrukturierung für sein Label CLR, ein weiteres Office in Berlin wurde eröffnet. Sein CLR-Podcast wird immer Montags ausgestrahlt und mehr als 250.000 mal im Monat aufgerufen.

Alex: Chris, schön, dass du Zeit für uns gefunden hast! Wenn du vom Elevator DJ-Store aus Münster hörst, was kommt Dir als erstes in den Sinn?

Chris: Da kommt mir als erstes der Cosmic Club in Münster in den Sinn – der müsste direkt nebenan gewesen sein...?

Alex: Ja genau, der war am Güterbahnhof!

Chris: Da habe ich bestimmt zwei oder dreimal gespielt - das ist aber auch schon ganz schön lange her...

Alex: Schau mal, was bei uns immer noch im Raucherraum hängt [Alex zeigt Chris auf seinem Smartphone ein Foto von einem Cosmic Club-Veranstaltungsplakat].

Chris: Cosmic Club 1998 mit Takkyu Ishino (lacht)! Dabei denkt man immer: Meine Güte, 1998, das ist ja eigentlich richtig lange her, aber auf der anderen Seite fühlt sich das gar nicht so lange an. Trotzdem, wenn man sich das so überlegt, dann ist das ja schon eine Menge an Zeit, die man in dieser Szene und mit dieser Musik verbracht hat.

Alex: Definitiv und mittlerweile zieht es dich ja gerne in die Ferne, was deine Bookings anbelangt. Ich hab jetzt mal versucht die letzte Woche zusammenzufassen: Kroatien, Spanien, Tunesien, Holland, England. Was meinst du, hat Techno in den letzten Jahren zu einer derart globalen, weltweiten Musik gemacht?

Chris: Ich glaube, das liegt zum einen daran, dass Techno die allererste, globale Musik überhaupt gewesen ist. Techno ist nicht auf Regionen oder gewisse Grenzen eingeschränkt, wie das bei anderen Musikrichtungen eigentlich der Fall ist.
Nehmen wir mal zum Beispiel Volksmusik oder Rockmusik - das wird nicht unbedingt in allen Erdteilen gehört. Aber bei Techno war das von Anfang an so, dass es nicht spezifisch aus einem Land kam. Das konnte jeder machen. Techno hat auch etwas relativ neutrales. Es war eigentlich von Anfang an schon klar, dass das auch so ein weltweites Phänomen werden wird. Manche Länder hängen dann logischerweise ein bisschen hinterher, was aber an vielen Faktoren liegt, wie wirtschaftliche oder kulturelle. Aber es erreicht dann doch irgendwo alle. Ich war jetzt zum Beispiel letzte Woche das erste Mal in Tunesien. Dort wurde mir erzählt, dass die schon seit drei Jahren jeden Sommer mächtige Partys veranstalten. Das hat zwar jetzt von der Qualität nicht so den Rang gehabt, wie in anderen Ländern, in denen das schon länger der Fall ist, aber die Leute waren trotzdem sofort dabei und völlig offen - keiner stand da mit einem Fragezeichen über dem Kopf, nach dem Motto „Was ist das denn jetzt?“. Das hat mich selber schon gewundert. Ich glaube, das ist einfach so die grundsätzliche Eigenschaft von Techno und das bedeutet, dass es keine Grenzen gibt, keine Länderbeschränkungen und diesen ganzen Blödsinn, den wir eigentlich mit diesen ganzen Grenzen machen, die wir ja überall ziehen. Das ist ja alles von Menschen gemacht, so dass wir die Grenzen mit Techno eigentlich aufheben.

Alex: Schaffst du es dennoch, dir bei diesem hohen Reisedruck einen Eindruck von Land und Leuten zu verschaffen?

Chris: Ja, du gewinnst so eine gewisse Fähigkeit, die kürzesten Momente dafür zu nutzen, um einen Eindruck zu bekommen. Wenn es auch nur die Taxifahrt vom Flughafen bis zum Hotel ist. Du guckst dir die Städte an, die Leute, die auf den Bürgersteigen herumlaufen und bekommst dann schon einen Eindruck, wie das dort so ist. Du kriegst dann auch einen gewissen Vibe mit, wie die Leute so drauf sind, genauso wie man auch die Unterschiede in den verschiedenen Ländern feststellen kann.
Es passiert sogar, das ist mir gestern aufgefallen, als ich von Ibiza weggeflogen bin, dass wenn du die einzelnen Gates im Flughafen mit den Leuten siehst, die dort für ihre Flieger nach Frankfurt, Turin oder Mailand anstehen, du den unterschiedlichen Vibe von den verschiedenen Gruppen bemerkst. Du siehst sofort: Ah, da steht ein Haufen Deutscher, das sind Italiener und dort Spanier - das ist sehr interessant zu sehen! Und das bekommst du alles im ersten Moment direkt mit, ohne dass sich Vorurteile aufbauen.
Aber ich denke mir auch immer, dass ich irgendwann später, wenn ich mal mehr Zeit habe, nochmal überall dorthin fliege, wo ich nie genug Zeit hatte und mir dort eine Woche anstatt einer Nacht gönne.

Alex: Alles in Ruhe dann nochmal nachträglich abklappern...

Chris: Genau!

Alex: Ja, da hast du dann ja nochmal was vor... . Wie hältst du dich denn bei der ganzen Vielfliegerei fit? Immerhin bist du ja auch Baujahr 1967...!

Chris: 1968! (schmunzelt) Also, ich glaube, dass ich zum einen junge Gene und von Natur aus schon eine relativ gute Energie mitbekommen habe. Ich treibe regelmäßig Sport, letztendlich habe ich meine ersten 25 Jahre fast immer mit Leistungssport verbracht, bis dann die Musik in mein Leben gekommen ist und den Sport verdrängt hat. Ich habe das dann aber wieder aufgenommen, um mich selber einfach fit zu halten, das ist enorm wichtig. Und bezüglich Ernährung habe ich in den letzten drei bis vier Jahren auch einen riesigen Sprung gemacht.

Alex: Magst du den Sprung vielleicht einmal kurz erläutern?

Chris: Den Sprung erläutere ich gern, aber dann kriegt man immer gesagt, dass ich schon wieder darüber rede (lacht)! Ich bin vor drei Jahren Veganer geworden und diesen Energieschub, den ich dadurch bekommen habe, hätte ich nie für möglich gehalten. Das ist wirklich unglaublich. Ich weiß nicht, wie sich das bei anderen auswirkt, aber ich habe für mich festgestellt, dass tierische Proteine mir Energie geraubt haben, anstatt sie mir zu geben. Seitdem ich sie nicht mehr zu mir nehme, habe ich viel mehr Energie.

Alex: Hat das auch eine positive Auswirkung auf deine Arbeit mit der Musik?

Chris: Bestimmt! Ich denke, dass alles miteinander verbunden ist. Musik hat ja auch viel mit Energie zu tun, genauso wie mit einem bestimmten Vibe, den du überträgst und vermittelst.

Alex: Gesunder Geist, gesunder Körper...

Chris: Ja, genau! Und ich bin der Ansicht, dass in tierischen Proteinen eine Menge Leid enthalten ist, welches du dir wiederum zuführst und das dadurch dann auch irgendwo in dir ist. Das kann man jetzt als esoterisch ansehen oder auch nicht, aber das ist für mich auch ein Teil der Erklärung.

Alex: Interessant! Kommen wir nun zu einem anderen Thema. Ich hatte mal versucht, ein wenig zu recherchieren, wann ich die letzte Chris Liebing Nummer gekauft habe. Zwei bis drei Jahre ist das jetzt sicherlich schon her. Woran liegt das?

Chris: Ich hatte irgendwann eine Phase, in der ich überhaupt nicht mehr glücklich war mit dem, was ich produziert habe. Alles, was dabei raus kam, hörte sich am nächsten Tag langweilig an. Ich hatte keine Inspiration - die hatte sich komplett auf mein DJing verlagert. Je mehr ich wusste, was ich bei meinem DJing mache und je mehr Möglichkeiten ich erkannte, um so weniger hatte ich das Gefühl, dass ich das im Studio umsetzen konnte. Ich habe dann auch meinen kompletten Fokus und meine Energie auf das DJing gelegt und das hat mich auch einen riesigen Schritt weiter gebracht - gerade was die Technik anbelangt. Ich habe dadurch zwar auch mein Studio ein wenig vernachlässigt, wusste aber für mich, dass ich mich nicht dazu zwingen muss. Ich mache es einfach so, wie es kommt. Wenn irgendjemand in zwei Jahren zu mir sagt, ich sei jetzt out, weil ich keine Platten mehr produziert habe, dann ist mir das auch egal. Ich will keine Sachen veröffentlichen, mit denen ich selber nicht glücklich bin. Das habe ich oft genug gemacht. Irgendwann wird es wieder zurück kommen - das habe ich jetzt auch vor drei bis vier Monaten gemerkt, deswegen steht hier übrigens auch schon wieder ein MIDI-Keyboard - da ich jetzt wieder langsam Lust bekomme, auch wieder im Studio Sounds zu erzeugen. In den letzten drei Jahren habe ich das Studio mehr oder weniger dafür genutzt, um ab und an mal ein bis zwei Edits zu erstellen. An einen Remix habe ich mich nur dann getraut, wenn ich direkt eine passende Idee hatte. Wobei ich die Remixe, die ich gemacht habe, eher als Edits ansehe, weil nicht unbedingt soviel verändert wurde, sondern ich den Sachen vielmehr meinen eigenen Stempel aufgedrückt habe. Es ist übrigens nicht der Punkt, dass ich keine Zeit fürs Studio gehabt hätte, vielmehr habe ich die Zeit im Studio für das Label und zum Abmischen von Tracks anderer Künstler genutzt. Gerade die ganzen Release, die jetzt auch rausgekommen sind, wie OX von Tommy Four Seven, das Monoloc-, Motor- und Drumcell-Album..., das wurde alles hier nochmal komplett neu abgemischt. Das ist eine riesige Arbeit, macht aber auch unglaublich viel Spaß. Dadurch habe ich auch viel gelernt. Das hilft mir jetzt dabei, wieder inspiriert Musik zu machen.

Alex: Und wo wir jetzt schon bei dem Thema CLR sind: Wenn du dir dein Label als eine Art Person vorstellen würdest - jetzt wird es auch ein wenig esoterisch - welche drei Eigenschaften würdest du dieser Person zuschreiben?

Chris: Wow, das ist eine gute Frage. Drei Eigenschaften...

Alex: Also, ich hätte zum Beispiel „talentiert“ gesagt, weil ich CLR als eine Art Talentschmiede ansehe, denn viele Leute, die bei euch eingestiegen sind, haben dadurch einen richtigen Schub mitbekommen.

Chris: Das stimmt schon, ja. Aber ich glaube, das liegt auch sehr an den Leuten selber.
Es ist ja nicht so, dass man auf irgendeinem bekannten Label veröffentlicht und dadurch dann einen Schub bekommt, sondern es liegt ja auch daran, was dann veröffentlicht wird. Vielleicht liegt es auch an der Zusammenarbeit. Ich bringe ja inzwischen über 20 Jahre Erfahrung mit, und das hilft natürlich auch neuen Leuten, damit nicht die gleichen Fehler gemacht werden.
Drei Eigenschaften... (überlegt). „Variabel“ - das ist eine Eigenschaft, die ich gern für das Label hätte. Ich möchte etwas variabler in der Musik werden, das merkt man auch gerade bei so einem Monoloc-Album mit vielen Vocals. Auf dem Drumcell-Album hatte eigentlich kein einziger Track einen geraden Beat, das war alles mehr oder weniger Broken Beat und trotzdem irgendwo spielbar. Somit ist alles ein wenig variabler und breitflächiger geworden.
Mir fällt noch „Bass“ bzw. „Stärke“ dabei ein. Das ist eine andere Eigenschaft, die die besagte Person hätte, denn Bass ist für mich unglaublich wichtig. Die unteren Frequenzen sind die, die schieben. Sie erzeugen den eigentlichen Groove und bringen dich auch auf der Tanzfläche in Bewegung. Ich bin weniger der Freund von vielen Melodien. Wenn es zu kommerziell und zu offensichtlich wird, kann ich damit nichts mehr anfangen. Die Emotionen sollen versteckt im Bassbereich herüber kommen. Daran arbeite ich jetzt schon seit langer, langer Zeit. Das entwickelt sich und wird immer besser. Da fangen auch die Leute langsam an, Unterschiede festzustellen, also dass es nicht nur 1-2-3-4 Bass Drums „auf die Fresse“ sind, sondern dass da auch noch ein bisschen mehr dahinter steckt, gerade in den Grooves.
„Emotional“ wäre eigentlich auch so eine andere Eigenschaft. Das bringen auch die wenigsten mit Techno in Verbindung. Aber ich finde, dass Techno, so wie es sich momentan entwickelt, extrem emotional ist. Gerade beim Spielen habe ich extrem viele Momente in denen ich echt Gänsehaut bekomme, weil ich denke: „Wow, in dem Moment sind alle irgendwie eins - wir sind gerade alle auf der gleichen Welle unterwegs.“ Das ist echt super!

Alex: Du hattest gerade das Album von Tommy Four Seven OX schon angesprochen, das jetzt neu auf Vinyl erschienen ist...

Chris: Das ist die neue Single!

Alex: Ah, okay! Die Single ist jetzt auch schon mittlerweile das 80. Vinyl Release auf CLR.
Vinyl ist generell nach wie vor ein großes Thema bei euch. Wenn man Vinyl Releases in Relation setzen würde, also „Wirtschaftlichkeit“ auf der einen Seite, „Herzensangelegenheit“ auf der anderen, wo würdest du die Vinylproduktion bei euch einordnen?

Chris: Wenn du den fragst, der die Abrechnung für mein Label macht, dann liegt das komplett bei der Herzensangelegenheit, da ist nichts mit Wirtschaftlichkeit (lacht). Klar, früher, als wir noch bei Prime vertrieben wurden, das war so 1998 bis 2002 herum, wurden von einer Vinyl bis zu 30.000 Platten verkauft. Heute werden um die 300 gepresst und vielleicht nochmal 300, die sind dann aber auch ausverkauft.
Das heißt, das geht mehr oder weniger gegen Null auf, wenn es um die reinen Presskosten geht, aber da ist dann natürlich nicht das schöne Vierfarb-Cover dabei. Das ist wiederum eine Herzensangelegenheit. Ich sehe das als eine Art Mischkalkulation, weil es noch viele Vinylliebhaber da draußen gibt. Aber... wo seid ihr eigentlich alle? Ich sehe immer nur, dass die Platten verkauft werden, aber ich weiß nicht, wohin! Ich wundere mich dann immer, denn in die Clubs, in die ich komme, spielen immer alle mit Traktor und ich denke mir, wer kauft eigentlich die ganzen Platten? Irgendjemand ist noch da draußen, der mindestens 300-500 Platten von jedem Release kauft (lacht).
Ich habe gestern mit Juan Pablo Pfirter gesprochen, der das Mind Trip-Label betreibt und mit dem habe ich jetzt gerade eine neue Nummer herausgebracht, an der wir aber insgesamt drei Jahre saßen, weil wir uns die immer hin- und hergeschickt haben. Er sagte, dass er jetzt gerade 600 Vinyls davon verkauft hat. Wahnsinn, das ist toll! Und ich überlegte dann - Wer kauft denn so eine Vinyl? Das finde ich absolut faszinierend und super. Dafür mache ich das auch. Vielleicht, weil ich auch noch aus dieser Zeit komme, ist das noch ein Überbleibsel. Ich denke, wir machen das noch so lange weiter, wie noch mindestens 300 Leute eine Vinyl kaufen. Vielleicht geht es auch noch mit 200, aber dann macht es wirklich gar keinen Sinn mehr. Wobei ich bei Alben definitiv immer noch eine Vinyl machen wollen würde - warum auch immer... Aber trotzdem: Herzensangelegenheit.

Alex: Deine ersten Erfahrungen im Musikbusiness konntest du noch bei dem von Sven Väth gegründeten Label Eye Q-Records sammeln. Was sind das für Erfahrungen, von denen du heute noch profitierst?

Chris: Eigentlich recht wenige, weil es eine ganz andere Zeit war, da lief das alles ganz anders. Eye Q, Harthouse... Meine Güte, als ich da angefangen habe zu arbeiten, war das glaube ich 1995 oder 1996. Da war das eine komplette Etage in Offenbach in der Strahlenberger Straße mit ungefähr 30 Leuten, die dort gearbeitet haben. Das ist totaler Wahnsinn, das könntest du dir heute überhaupt nicht mehr vorstellen. Damals haben die allerdings auch noch größere Stückzahlen verkauft, das ging ja richtig gut, das war eine richtige Firma. Was unser Label heutzutage angeht, da sind wir hier ein 3-4 Mann Betrieb. Und das wird nicht nur aus dem Label finanziert, ich finanziere das auch durch meine DJ-Gagen. Das Label würde sich so niemals tragen, aber da sind wir dann auch wieder bei dem Thema der Herzensangelegenheit - das will ich unbedingt machen, weil es für mich ganz wichtig ist. Ich will ja auch dieser ganzen Szene etwas geben, mich ausdrücken können, dafür habe ich auch schon immer ein Label gebraucht - das ist heute der Unterschied. Damals war das Label aufgestellt, weil da so viele Künstler waren, die unbedingt was veröffentlichen wollten und ich weiß noch genau, wie bei Pauli und Good Groove die ganzen Demos ankamen und die beiden sich stundenlang das ganze Zeug durchgehört haben. Damals hatte noch nicht jeder ein Label, da war das mehr die Intention, die besten Sachen zu veröffentlichen. Heutzutage hat das eher die Funktion, dass wir unseren Kreis von Künstlern haben, zu dem immer mal ein paar neue dazu kommen und auch mal von außen so ein One-Off Release [ein einmaliges Release. Anm. d. Redaktion] kommt, aber wo du eigentlich deinen Sound und deine Künstler entwickelst. Ich meine, das ist damals auch passiert, definitiv, aber auf einem ganz anderen Level. Heute ist das eher so, dass wir wieder bei der Herzensangelegenheit sind.

Alex: Wo wir gerade so schön in alten Erinnerungen schwelgen: Ich habe das Gefühl, dass dir Radiosendungen oder generell Podcasts besonders am Herzen liegen. Du hast zum einen immer wieder auf CLR deinen montäglichen Podcast und dann gab es noch die Sendung Pitchcontrol auf HR XXL, wo du im TV-Format deine Sets gespielt hast. Hast du die ersten Rave-Sendungen aus den frühen 90ern mitverfolgt, wie zum Beispiel Rave Satellite? Oder woher kommt deine Begeisterung?

Chris: Eigentlich gar nicht. Ich glaube, die Begeisterung kommt daher, dass ich gerne rede und viele sollen zuhören - obwohl ich nichts zu sagen habe (lacht). Es fing mit Evosonic in Köln damals an. Das war dieser Radiosender, der erste Satellitradiosender, der sich nur auf elektronische Musik konzentriert hat. Ich glaube 1997 war das. Dafür war der Mike S zuständig. Der war früher ja auch als Cyberdelics bei Harthouse und ein guter Bekannter von mir. Er hatte mich dann mal zu seiner Sendung eingeladen, ich bin nach Köln gefahren, stand dann vor dem Mikro, habe das alles gesehen und dachte mir: „Sensationell, das will ich machen, das macht richtig Spaß!“. Anschließend habe ich spontan seine Sendung übernommen. Die nächste Woche rief er mich dann an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, eine eigene Sendung zu machen. Und so hatte ich dann zwei Jahre lang jeden Freitag vier Stunden lang eine Live-Sendung. Ich bin also immer von Frankfurt nach Köln gefahren, dann die Sendung gemacht und danach noch irgendwohin zum auflegen. Das hat einen riesigen Spaß gemacht, ich fand das super. Ich konnte meine Musik spielen und den Leuten irgendeinen Krempel erzählen. Du hast dann manchmal auch Faxe bekommen - unter anderem aus Mallorca...! Da war noch nichts mit Internet und „Hallo, spiel' doch mal dieses und jenes, das hört sich toll an.“. Eben ein Satellitenradiosender, noch vor den Internetzeiten. Damals hat man die Telefonnummer durchgesagt, du hast Anrufe bekommen und die Leute durchgestellt. Ich fand das superklasse.
Leider war die Zeit irgendwann vorbei, weil Evosonic pleite ging, und dann fing es mit HR XXL an. 2000 habe ich mit dem Pauli zusammen donnerstags eine Sendung angefangen. HR XXL, das ist der Sender, der jetzt You FM heißt. Und das haben wir dann drei Jahre lang durchgezogen. Wir hatten einen super tollen Spaß, haben alle Regeln gebrochen, die es für eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt gab. Wir hatten eine Lampe hängen, die nach zwei Minuten anfing zu blinken und signalisierte, dass du aufhören solltest zu reden. Die hat bei uns immer 10 Minuten lang geblinkt, wir haben immer weiter geredet. Die Leuten fanden die Sendung glaube ich auch gut, aber im Zuge dessen, dass der gesamte Sender umgestellt wurde, er kommerzieller ausgerichtet und You FM getauft wurde, mussten wir dann leider den Hut nehmen und gehen. Das war schon traurig.
Dann habe ich eine Zeit lang weniger gemacht, das hab ich auch vermisst. Ich sehe dieses Medium als ein weiteres Werkzeug, um den Leuten etwas von dem mitzugeben, was du so machst und wo die Reise hingeht. Irgendwann haben wir dann ein Internetradio betrieben, jede Woche eine Radiosendung für Ibiza Global Radio und Ibiza Sonica. Das habe ich über zwei Jahre durchgezogen und habe mir dann überlegt, dass ich die ganze Sendung nur für diese beiden Radiosender erstelle - das ist ja eigentlich totaler Quatsch...! Da fing das so langsam an mit dem Podcast. Ich fragte mich, warum wir das Ganze nicht einfach auch Podcast nennen - und wir schicken das dann zu jedem, der den Podcast haben will. So fing das dann an. Jetzt machen wir schon seit knapp vier Jahren, jeden Montag einen Podcast. Das ist schon richtig Arbeit - inzwischen schon fast mehr Arbeit, als für das Label. Hin und wieder denke ich mir, oh Mann, ich muss jetzt wieder einen Podcast machen, ich habe doch gerade erst wieder fünf Flüge gehabt, muss mich jetzt noch irgendwo in ein Hotelzimmer setzen und das alles machen - aber es lohnt sich und ist auch ein großer Spaß. Auch die Reaktionen von den Leuten zu sehen... Wenn du zum Beispiel irgendwo spielst, stehen manche vor dir, zeigen dir ihr Smartphone und sagen: „Hey, hier ist der letzte Podcast drauf...“. Das ist schon schön.

Alex: Dann schlagen wir jetzt mal ein neues Kapitel auf und zwar geht es jetzt um dein DJ-Set. In diesem Zusammenhang habe ich eine interessante Aussage von dir in einem Video gesehen: „I think producers hate me“ - Wieso denkst du das?

Chris: Weil ich ja eigentlich keinen Track mehr im Original spiele, das heißt, wenn jetzt irgendjemand neben mir in der DJ-Booth steht und ich würde seinen Track spielen, dann freut der sich zunächst, hört dann aber genauer hin und denkt sich: „Wie klingt der Track denn jetzt? Warum ist der so anders arrangiert, wieso läuft denn das jetzt anders und warum ist da jetzt eine Hi-Hat drin, die da eigentlich gar nicht hingehört...?“ Mich persönlich würde das nicht ärgern, aber ein Produzent, der darauf bedacht ist, dass seine Produktion nicht verändert wird, würde mich nicht mögen. Ich bin der Ansicht, dass ich mein Setup so gestalten möchte, dass ich in jedem Moment die Möglichkeit habe, auf die individuelle Situation eingehen zu können. Im Raum, in dem was passiert, im Club, oder auf einem Open Air. Und das Setup, das ich habe, soll mir das ermöglichen, darauf habe ich es ausgelegt. Ich spiele vielleicht mal einen anderen Bass drunter, mache noch eine Hi-Hat dazu oder einen Loop, der noch etwas anderes überbrücken soll, und springe dann im Arrangement, so dass es klingt, wie ich es gerade fühle, wie die Situation in dem Moment ist. Jetzt müsste ein Break kommen, jetzt müsste ich mal ein wenig deeper werden, oder ich mache mal etwas anderes hinein oder ziehe etwas raus. Das heißt, kein Track läuft eigentlich so wie er mal zu hören war und das ist auch wieder das Schöne daran, weil jedes Set dadurch anders ist. Ich kann es immer wieder anders kombinieren, ich kann mir immer neue Möglichkeiten in diesem Moment überlegen.

Alex: Wie sieht dein Setup aus? Wie kann man sich das vorstellen?

Chris: Ich arbeite mit zwei Computern, worüber sich auch viele inzwischen wundern, weil die Rechner doch mittlerweile so stark geworden sind, dass man eigentlich nur noch einen benötigt... Aber das ist für mich auch einfach mein Backup. Wenn ich jetzt wirklich auf längere Touren gehe, zum Beispiel ab morgen wieder 10 Tage, und ich würde nur einen einzigen Rechner mitnehmen, dann würde ich mich aufs Glatteis begeben. Es muss nur einer geklaut werden oder herunterfallen, jemand schüttet sein Glas Wasser drauf, während ich spiele... Dann kann ich immer weiter spielen, weil ich zwei Rechner dabei habe. Auf einem Rechner läuft Traktor mit den kompletten vier Decks und auf dem anderen habe ich Ableton Live, wo ich verschiedene Standard-Loops laufen lasse und die Maschine von Native Instruments angeschlossen habe. Als Send und Return habe ich mehrere Effekte, die ich über das Mischpult rausschicken kann. Die Kombination von beiden Rechnern, die via Ethernet gesynct laufen, ermöglicht mir dann, immer hin und her springen zu können. Ich kann von Traktor aus auch einfach mal einen Loop laufen lassen und den Rest mit der Maschine bearbeiten und noch etwas mit Effekten dazu basteln. Ich kann damit auch 10 Minuten Spaß haben, ohne dass es den Leuten langweilig wird, um dann wieder zurück auf normale Musik zu kommen. Oder ich vermische es - das kann ich immer so machen, wie ich gerade lustig bin. Wenn ich mal total faul bin oder aufs Klo muss, dann lasse ich einen Track laufen und setze irgendwo einen Loop, was aber selten passiert. Ich war immer schon so drauf, dass ich auch früher, als ich mit Platten aufgelegt habe, etwas machen wollte. Nur die Nadel auflegen, sieben Minuten warten, sich fragen, was ich in der Zwischenzeit machen soll... Nein, so war ich nie drauf. Irgendetwas muss passieren, aber ohne, dass es übertrieben wirkt und die Leute denken: „Oh Gott“, so als würdest du Dubstep hören, wo alle 30 Sekunden irgendwas anderes passiert. Das soll alles schön im Flow sein.
Mein Setup hat sich in den letzten 10 Jahren so entwickelt - auch dank der Zusammenarbeit mit Hard- und Software-Firmen, wie Allen&Heath oder Native Instruments, die auch auf die Ideen von den Leuten eingehen. Ich glaube, ich darf mich damit rühmen, dass Traktor irgendwann vier Decks hatte, weil ich gesagt habe, wir brauchen vier Decks - es fing ja mit zwei an. Das ist das Schöne, dass diese ganzen jungen Unternehmen mit den Leuten Hand in Hand gehen, die auch wirklich draußen spielen. Das ist wirklich aus dieser ganzen Szene heraus entstanden.

Alex: Was könnte im aktuellen Elevator Katalog für Equipment sein, das dein DJ-Setup noch einmal bereichern könnte? Beispielsweise werden zur Zeit gern externe Effektgeräte mit eingebaut, also Gitarreneffektgeräte, wie Delays oder Reverbs...

Chris: Genau, so etwas. Ich habe in der letzten Zeit auch ein wenig vermehrt darauf geschaut...
Brian Sanhaji zum Beispiel benutzt einige externe Hall- und Delay-Effektgeräte von Eventide. Dann gibt es da einen Loco Dice oder einen Richie Hawtin, die viel mit Fußpedalen spielen. Mir fehlt auch manchmal eine weitere Hand und da denke ich dann schon, dass ich vielleicht auch mal so ein Pedal integrieren sollte. Für einen Gitarreneffekt benötige ich eigentlich 3 Aux und Sends, aber da steht bald was neues am Horizont mit neuem Equipment an, von daher geht die Entwicklung immer weiter. Das Schöne ist: Die Entwicklung der ganzen Firmen, auch der kleineren, ist so toll, dass inzwischen großartige Geräte mit einer tollen Qualität herauskommen. Jeder kann für sich individuell das zusammenstellen, was für ihn taugt.
Mein Setup ist relativ komplex, das ist nicht jedermanns Sache. Andere DJ-Kollegen sagen auch: „Du spinnst, das ganze Zeugs und die Kabel...“. Mir macht das einfach Spaß und ich nehme diese Extraarbeit auf mich, aber ich sehe auch, dass man inzwischen mit weniger viel machen kann. Vielleicht sollte ich da die Augen langsam mal aufmachen. Mein Tourmanager wäre sicherlich auch happy, wenn er nicht mehr so viel Zeug schleppen müsste. (lacht)

Alex: Was würdest du denn der Elevator Kundschaft empfehlen, die auch eine Art Verschmelzung von Liveact und DJ-Set anstreben?

Chris: Wie gesagt, zwei Computer sind nicht unbedingt notwendig. Das ist so etwas, das ich aus Sicherheit habe. Die Computer heutzutage, so ein Macbook Air, was es ja jetzt auch schon relativ günstig gibt, sind so unglaublich powerful, da brauchst du nichts mehr anderes. Da kannst du ruhig zwei oder drei Programme nebeneinander laufen lassen.
Ich würde vorschlagen, wenn Leute schon Erfahrungen im Produktionsbereich haben und mit Ableton, Logic etc. arbeiten, dann sollten sie das mit einer DJ-Software verbinden, sei es jetzt Traktor, Serato oder was es sonst noch so alles gibt. Es gibt auch inzwischen viele und tolle Controller, egal von welcher Marke. Ich glaube, dass auch Reloop und Co. inzwischen tolle Controller bauen, die alle ihren Job machen. Man sollte viele Dinge erst einmal ausprobieren. Man muss sich jetzt nicht hinsetzen und das teuerste Equipment kaufen, das ist gar nicht unbedingt notwendig, sondern einfach mal ausprobieren - auch mit Freunden zusammen. Einfach auch mal Sachen ausleihen und schauen, wie man das zusammenkabeln kann und damit experimentieren. Das ist auch das, was ich immer gemacht habe: einfach herumexperimentieren. Ich erinnere mich noch an die Zeiten mit Speedy J, als wir mit ihm das Collabs-Programm 2006 gestartet haben. Da saßen wir teilweise wirklich tage- und nächtelang zusammen, mit bergeweise Kabeln, fünf Computern nebeneinander und Soundkarten und haben dann überlegt, wie wir Sachen miteinander verbinden, damit hinten was anderes herauskommt, als wir es vorher hineingeschickt haben. Und da kommst du dann auf Ideen - das ist es! Abgucken kann man sich natürlich was, aber im Endeffekt: selber experimentieren!

Alex: Und wenn wir jetzt mal so ein bisschen in die Wahrsagerkugel schauen, um zu sagen wie die Zukunft des DJing aussehen könnte, habe ich mal vier Produkte ausgedruckt und mitgebracht.

Chris: Aha!

Alex: Hier haben wir zum Beispiel den S8 von Native Instruments, ein richtiges Controller-Flaggschiff, das ähnlich wie du eine Symbiose aus Live Act und DJ-Set anstrebt. Könnte das die Zukunft des Auflegens sein?

Chris: (deutet auf seinen Bildschirm)… Mittlerweile hat sich hier übrigens am Rechner meine ganze iTunes-Libary geöffnet, da kannst du sehen, was ich sonst so höre. (lacht)

Alex: Das ist ja klasse – 80er!

Chris: Sehe ich auch gerade - Billy Idol!

Alex: Kommen wir zum nächsten Verdächtigen. Kennen Sie diese Person? Das ist ein Reloop RP-8000 Turntable, ein sogenannter Hybrid Turntable, weil er die Möglichkeit bietet, Cue-Punkte und Samples innerhalb deiner DJ-Software direkt vom Plattenspieler antriggern zu können. Könnte das die Zukunft sein?

Chris: Oh! Mhmh...

Alex: Dann haben wir noch ein weiteres Flaggschiff, das ist der DDJ SZ von Pioneer, einfach alles dran, was vielleicht auch im Club stehen könnte.
Und das nächste Gerät ist ein ganz neuer Trend: das Beatpad von Reloop. Der Controller bietet dir die Möglichkeit, mittels Spotify auf Millionen von Daten via Internet zuzugreifen. Das heißt, du benötigst keine Library mehr. Spotify schlägt dir auch die Tracks vor, die zusammen passen könnten und das alles nun in Controller-Form… Werden wir davon vielleicht mehr sehen?

Chris: Spontan interessant finde ich auf jeden Fall das hier [greift zum Reloop Beatpad], denn ich glaube in langfristiger Zukunft sind wir sowieso permanent mit dem Internet connected, man muss seine Library gar nicht mehr mitnehmen, du hast in deiner Cloud ohnehin deine ganzen Sachen und du bist direkt online. Und von der reinen Philosophie her gesehen, würde ich sagen, das ist eher das, was in diese Richtung geht, weil es mir persönlich beim DJing darum geht, spontan agieren und reagieren zu können und zu machen, was mir gerade in den Sinn kommt. Dafür hast du natürlich, wenn du mit dem Internet verbunden bist, Unmengen an Möglichkeiten. Dann kannst du natürlich auch alles machen, was du willst, du hast ja alles da. Diese Sachen in Echtzeit zu manipulieren, darum geht´s. Dass du hingehen kannst und denkst: Ich möchte, dass da jetzt so ein Sweep entsteht, und flupp, dann entsteht der und so bekommst du alles zusammen. Zack, zack, zack!
Plattenspieler sind, glaube ich, immer noch eine Übergangslösung, genau wie es damals mit Traktor und Final Scratch war - das habe ich ja auch eine Zeit lang gemacht. Das ist keine richtige Lösung, das ist eine Übergangslösung, die helfen soll, die auch übrigens mir geholfen hat, von dem einen Medium langsam in das andere rüber zu kommen. So gerne ich auch Plattenspieler habe, so gerne jeder auch Plattenspieler hat, der schon ein wenig länger dabei ist, man muss sich eingestehen, dass Plattenspieler einfach eine Herzensangelegenheit sind. Den Vinylfreunden wird das weh tun, aber die neue Generation wird mit Plattenspielern nichts mehr anfangen können. Und in 10 bis 20 Jahren werden wir uns auch nicht mehr großartig darüber unterhalten. Da wird das auch so ein Medium sein, wie damals Schellack. Als Schellack vom Markt ging, saßen da bestimmt auch viele Leute und haben gesagt: „Jetzt geht die Musik zu Ende und alles ist zu Ende, Schellack will keiner mehr!“
Diese ganzen Controller sind auch super und hilfreich. Was mich daran einfach stört, ist, dass viel zu viel vorgegeben ist, obwohl du ja auch den Controller selber belegen und andere Mappings drauflegen kannst. Das ist wunderbar für Hochzeits-DJs - das soll nicht abwertend klingen, überhaupt nicht. Ich habe auch schon einmal auf einer Hochzeit gespielt, das ist eine extrem große Herausforderung, aber das ist genau so ein All-In-One System, womit man einfach hingehen, es aufstellen und damit spielen kann.
Ich mag´s gern individueller, deswegen stelle ich mein Setup ja auch individuell zusammen. Ich achte jetzt nicht großartig auf Markennamen, sondern versuche, nur das zu nutzen, was für mich am besten passt.
Aber grundsätzlich geht es in die Richtung, dass du permanent online bist und einfach ein System hast, das dir erlaubt, völlig frei zu agieren, dass man im Endeffekt nicht einmal mehr Tracks spielt, sondern nur noch Elemente miteinander verbindet und dadurch Emotionen und Atmosphären erzeugt. Vielleicht sind die Controller auch gar keine Controller mehr, die du anfassen musst, sondern in der Luft steuern kannst. Hier will ich eine Bassdrum, da eine Hi-Hat, hier soll eine sphärische Stimme reinkommen und dann stehst du irgendwann da wie ein Dirigent.

Alex: Schlagen wir das nächste Kapitel auf: Producing! Was für Equipment ist für dich der Dreh- und Angelpunkt in deiner Produktion?

Chris: Die Soundanlage ist erst einmal in der Produktion der Dreh- und Angelpunkt. Die Monitore sind einfach für das Endprodukt super wichtig. Ich hab mich auch langsam daran gewöhnt, mich im Flieger an den Laptop mit meinen Kopfhörern zu setzen und was vorzubereiten. Für mich ist Klang extrem wichtig, von daher ist eine gute Anlage, mit der man produziert, für mich persönlich wichtig, für andere vielleicht weniger. Die produzieren mit dem Kopfhörer und hoffen darauf, dass das Mastering dann alles rettet. Aber ich finde erst einmal eine gute Anlage wichtig. Es ist ja auch inspirierend, wenn ich an kleinen Feinheiten drehe, diese dann auch höre, und ich weiß was ich darauf aufbauen kann. Das ist bei mir der Fall. Und dann auch immer noch externe Geräte, obwohl auch vieles intern läuft, weil die Digital-Technik inzwischen auch so weit ist, dass mir keiner mehr kommen und sagen kann, dass mit Analog doch alles so viel besser klingt. Das ist inzwischen nicht mehr der Fall, trotzdem besitzt Du Geräte bei denen Du Hand anlegen und Knöpfe drehen kannst, wo Du weißt was hinten raus kommt.
Und auch vielleicht Geräte, die dich absichtlich limitieren. Du greifst wieder auf analoge Kisten zurück, bei denen du nicht so viele Möglichkeiten hast, bei denen vielleicht ein bestimmter Bass raus kommt, den du vielleicht noch ein bisschen modulieren kannst, aber wo dich das Gerät an sich einfach inspiriert.
Wir haben hier das Glück, dass wir eine Studiogemeinschaft sind, was ihr vielleicht auch schon im Hintergrund gehört habt. Wir tauschen teilweise nicht nur Ideen hier aus, sondern auch Geräte. Brian Sanhaji und Peter sind beide totale Analog-Freaks. Nebenan sind die beiden mit Modularwänden völlig krass unterwegs, dass du dann da sitzt und denkst: Wow! Gerade Modularwände sind eigentlich bei allen die ich kenne total im Kommen. Bei mir nicht, weil ich gerade keine Zeit habe, mich darum zu kümmern. So eine Modularwand bedarf extrem viel Aufmerksamkeit. Das sind alles so Sachen, die immer wichtiger werden, gerade um sich von diesen Standard Sample-CD-Nutzern abzuheben, die nach dem Motto „wir bauen jetzt einen Techno-Track zusammen“ arbeiten. Das hörst du zwar eigentlich relativ häufig, das ist ja auch wirklich teilweise sehr, sehr erfolgreich, aber das ist, wie ich finde, nicht unbedingt der Weg, den jemand gehen sollte, der anders sein und sein eigenes Ding machen will.

Alex: Was würdest du da Einsteigern raten?

Chris: Zum Anfangen sind Sample CDs sicherlich super, natürlich. Und es gibt ja auch inzwischen viel Musik-Software und Editors, so wie Fruity Loops, die ja wirklich klein und billig angefangen haben, die inzwischen aber auch sehr gut und sehr stark geworden sind. Truncate/Audioinjection produziert mit Fruity Loops, und das ist sensationell, was der macht. Es kommt also nicht darauf an, was für Equipment du hast oder was für eine Software du nutzt, sondern eigentlich vielmehr, wie du sie benutzt. Deswegen ist das mein Tipp für Leute, die neu einsteigen: Geht nicht direkt hin und gebt unglaublich viel Geld für die teuersten Sachen aus, sondern holt euch erst einmal eine Free Software und schaut mal, was ihr damit machen könnt. Wenn einer damit schon was Cooles machen kann, dann ist das doch schon einmal ein gutes Zeichen, aber wenn man schon daran scheitert, wenn es um so eine billige Software geht, dann sollte man sich vielleicht doch was anderes suchen.

Alex: Abschließend habe ich jetzt noch eine Frage an dich. Wie sieht denn der Freizeit-Liebing im Alltag aus, wenn mal kein Gig und keine Labelarbeit anstehen?

Chris: Den gibt´s selten... Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich ein totaler Workaholic bin, weil ich Workaholics kenne. Leute, die wirklich extrem viel arbeiten und extrem viel auf die Beine stellen. Richie Hawtin - der begeistert mich immer wieder, das ist wirklich unglaublich. Der ist so voller Energie, sitzt Mittags auf Ibiza am Strand, hat seinen Laptop dabei, schreibt E-Mails an Leute, bei denen er letzte Nacht gespielt hat und macht sich seine Gedanken. So bin ich nicht unbedingt drauf. Ich versuche mein Leben, so gut wie es geht, relativ gemütlich anzugehen. Ich habe zwei Kinder, die sind 5 und 8, und wann immer es auch geht, verbringe ich zu 100% Zeit mit denen, ohne dass ich da mein Telefon dabei habe. Das ist eigentlich der Freizeit-Liebing - ansonsten gibt es den eigentlich nicht wirklich. Ich gönne mir mal im Sommer ein paar Tage am Strand und im Winter gehe ich Ski fahren. Ich bin schon als kleines Kind Ski gefahren und gehe auch heute noch im Winter auf Touren. Das wäre dann meine Freizeit. Da habe ich aber auch schon teilweise richtige Kämpfe mit den Leuten, die meine Bookings und mein Management machen. Ansonsten muss ich aber sagen, dass ich jetzt auch nicht unbedingt derjenige bin, der sagt, dass ich jetzt mal Freizeit haben muss, denn ich finde, dass mein Leben eigentlich komplett Freizeit ist. Ich habe richtig Spaß an meinem Leben! Es ist natürlich auch anstrengend, das viele Reisen, aber es macht riesigen Spaß. Deswegen ist es auch nicht so, dass ich dauernd sage, ich will unbedingt frei haben. Ich war jetzt gerade wieder sechs Tage unterwegs, habe acht Gigs gespielt und ich freue mich schon wieder auf morgen, dass ich wieder wegfliegen und wieder irgendwo spielen kann - das ist eigentlich schon ein bisschen wahnsinnig.

Alex: Chris, schön, dass du dir die Zeit für uns genommen hast.

Chris: Vielen Dank.

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